See-Tsunamis

Tsunamis kommen nicht nur im Meer vor. In seltenen Fällen treten auch in (Schweizer) Seen grössere Flutwellen auf.

Ursachen

In Ozeanen entsteht ein Tsunami, wenn sich der Meeresboden aufgrund eines Bebens abrupt hebt oder senkt (wenn der Meeresgrund lediglich in der Horizontalen verschoben wird, hat das keinen grossen Einfluss auf die darüber liegenden Wassermassen) und / oder durch submarine Rutschungen.

Solange sich die Wellen im tiefen Wasser fortbewegen, stellen sie in der Regel keine Gefahr dar und sind höchstens durch Messbojen wahrnehmbar. Sobald sie aber seichtere Gewässer erreichen, türmen sich die Wassermengen auf und überfluten, je nachdem wie stark sich der Grund in der Vertikalen bewegt hat, ganze Küstenabschnitte.

Da Tsunamiwellen langsamer laufen als die P-Wellen eines Erdbebens (siehe häufig gestellte Frage: „Was sind P-, S-, Love- und Rayleigh-Wellen?“), ist es möglich, gefährdete Gebiete wenige Minuten bis mehrere Stunden vor dem Eintreffen eines Tsunamis zu warnen.

In Seen entstehen Tsunamis vor allem durch Bergstürze und Über- oder Unterwasserrutschungen, die oft aber nicht zwingend durch ein Erdbeben ausgelöst wurden. Bei Unterwasserrutschungen hängt die resultierende Wellenhöhe eines Tsunami vor allem vom Sedimentvolumen und der Geschwindigkeit der Rutschung ab.

Flutwellen in der Schweiz

Hinweise auf historische und prähistorische Bergstürze und Rutschungen, die Flutwellen ausgelöst haben, wurden in den Sedimenten zahlreicher Schweizer Seen gefunden. Dabei handelt es sich um chaotisch durchmischte Ablagerungen, die sich von normalen Sedimenten unterscheiden. Dank der Möglichkeit, ihr Alter zu bestimmen, können sie im Nachhinein einem Ereignis zugeordnet werden. Die Höhe einer Flutwelle kann durch numerische Modelle berechnet und mit historischen Berichten verglichen werden.

Folgende Flutwellen in Schweizer Seen sind historisch dokumentiert:

  • 563 n. Chr. löste ein Bergsturz im Rhonetal eine Unterwasserrutschung im Rhonedelta aus. Diese Rutschung löste eine bis zu 13 Meter hohe Flutwelle aus, die dazu führte, dass die Ufer des Genfersees überschwemmt wurden und Wasser in die Altstadt eindrang (Kremer et al., 2012).
  • Das Erdbeben in der Nähe von Aigle 1584 zerstörte Dörfer und verursachte Felsstürze. Es wurde auch ein Tsunami im Genfersee beobachtet (Fritsche et al., 2012) .
  • Am 18. September 1601 verursachte ein Erdbeben der Stärke 5.9 Unterwasserrutschungen im Vierwaldstättersee. Diese Rutschungen lösten einen 4 m hohen Tsunami aus, der die Stadt Luzern überschwemmte (Schnellmann et al., 2002; Siegenthaler et al., 1987).
  • Am 23. September 1687 rutschen Teile des Muotadeltas im Vierwaldstättersee und lösten eine Welle mit einer Höhe von 5 m aus (Hilbe and Anselmetti, 2014).
  • Am 2. September 1806 wurde das Dorf Goldau durch einen Bergsturz am Rossberg zerstört. Dieser Bergsturz verursachte einen über 10 Meter hohen Tsunami im Lauerzersee (Bussmann and Anselmetti, 2010).
  • 1996 wurde eine 190 bis 290 Jahre alte Leiche im Brienzersee gefunden. Die „Brienzi“ Leiche wurde durch eine kleinere Rutschung im Aaredelta freigegeben. Diese Rutschung löste eine Welle von einem Meter Höhe aus. Diese ungewöhnliche Wasserbewegung wurde von Arbeitern der Aarekies AG beobachtet (Girardclos et al., 2007).

Die historischen Beispiele zeigen, wie unterschiedlich die Ursachen für Tsunamis in Seen sind und dass wir in Zukunft Flutwellen in Schweizer See nicht ausschliessen können. Aber wann, wo und in welcher Form diese auftreten, lässt sich nicht vorhersagen.

 

Quellen:
Bussmann, F., Anselmetti, F., 2010. Rossberg landslide history and flood chronology as recorded in Lake Lauerz sediments (Central Switzerland). Swiss J. Geosci. 103, 43-59.
Fritsche, S., Fäh, D., Schwarz-Zanetti, G., 2012. Historical intensity VIII earthquakes along the Rhone valley (Valais, Switzerland): primary and secondary effects. Swiss J. Geosci. 105, 1-18.
Girardclos, S., Schmidt, O.T., Sturm, M., Ariztegui, D., Pugin, A., Anselmetti, F.S., 2007. The 1996 AD delta collapse and large turbidite in Lake Brienz. Marine Geology 241, 137-154.
Hilbe, M., Anselmetti, F.S., 2014. Signatures of slope failures and river-delta collapses in a perialpine lake (Lake Lucerne, Switzerland). Sedimentology 61, 1883-1907.
Kremer, K., Simpson, G., Girardclos, S., 2012. Giant Lake Geneva tsunami in AD 563. Nat. Geosci. 5, 756-757.
Schnellmann, M., Anselmetti, F.S., Giardini, D., McKenzie, J.A., Ward, S.N., 2002. Prehistoric earthquake history revealed by lacustrine slump deposits. Geology 30, 1131-1134.
Siegenthaler, C., Finger, W., Kelts, K., Wang, S., 1987. Earthquake and seiche deposits in Lake Lucerne, Switzerland. Eclogae Geologicae Helvetiae 80, 241-260.