2019-11-08
Über 200 Beben haben sich bis anhin seit der Nacht vom 4. auf den 5. November 2019 nördlich von Sion (VS) ereignet. Vierzehn dieser Beben wurden von der Bevölkerung verspürt. Die zwei bisher grössten Beben wiesen eine Magnitude von 3.3 auf. Obwohl sich am Abend des 7. Novembers zwei weitere, spürbare Beben ereignet haben, hat der Erdbebenschwarm etwas an Stärke verloren. Es ereignen sich im Vergleich zur ersten Phase weniger und weniger starke Beben. Die weitere Entwicklung ist nach wie vor ungewiss. In der Regel nimmt die Aktivität eines solchen Schwarms innert Tagen bis Wochen fortwährend ab. In seltenen Fällen kommt es jedoch zu einem stärkeren Beben. Die Wahrscheinlichkeit für ein Beben mit einer Magnitude von 4 oder mehr innerhalb der nächsten Woche beträgt für den Bebenschwarm im Wallis aktuell etwa zwei bis fünf Prozent.
Read more...Der Erdbebenschwarm liegt in einem seismisch sehr aktiven Gebiet, das nördlich von Sion zwischen dem Diablerets und dem Wildhorn verläuft. Auf der Abbildung ist deutlich zu sehen, dass sich die Bebenaktivität bereits in der Vergangenheit auf ein ähnliches Gebiet konzentrierte. Die grauen Kreise zeigen die Beben, welche seit 1984 instrumentell erfasst wurden. Der aktuelle Erdbebenschwarm, gekennzeichnet durch die roten Kreise, liegt in der Mitte dieser Aktivitätszone. Unweit davon liegen die Epizentren einiger grösseren historischen Beben (blaue Sterne). Der Erdbebenschwarm vom November 2019 ereignet sich demnach in einem Gebiet, dass historisch für seine seismische Aktivität bekannt ist und wo auch künftig mit zahlreichen kleinen und vereinzelt grösseren Beben zu rechnen ist. Wie genau sich die seismische Aktivität in diesem Gebiet entwickelt, lässt sich jedoch nicht vorhersagen.
Das Wallis ist, im Vergleich zu anderen Gebieten der Schweiz, durch eine erhöhte Verformung des Untergrunds (Deformation) gekennzeichnet. Diese äussert sich sowohl in Form einer vertikalen Hebung als auch in einer horizontalen Deformation und hängt mit den gebirgsbildenden Prozessen der Alpen zusammen. Aus geologischer Sicht stellt die Rhone-Simplon Verwerfung eine der wichtigsten Störzonen in der Region dar. Sie verläuft im Bereich von Sion entlang des Nordrandes des Rhonetals. Die Seismizität im Bereich der helvetischen Decken nördlich des Rhonetals steht daher wahrscheinlich in Zusammenhang mit den Deformationsprozessen entlang der Rhone-Simplon Verwerfung, aber eventuell auch mit den tiefer liegenden Hebungsprozessen im Bereich des Aar Massivs und des Aiguilles Rouge/Mont Blanc Massivs. Ein verbessertes Verständnis dieser tektonischen Prozesse und ihrer Auswirkungen auf die heutige Seismizität sind Gegenstand aktueller Forschungsarbeiten beim SED.
Die Rhone-Simplon Verwerfung verläuft entlang der Grenze zwischen der helvetischen und der penninischen Decken im Bereich von Sion. Beide tektonisch Einheiten weisen sehr unterschiedliche Bruchmechanismen auf, was auf unterschiedliche tektonische Spannungsregime hinweist. Die seismisch aktive Struktur nördlich des Rhonetals, die den aktuellen Schwarm beinhaltet, «wurzelt» nach derzeitigem Kenntnistand vermutlich im oberen kristallinen Grundgebirge, reicht aber bis in die darüberlegenden Sedimente der helvetischen Decken. Die vorläufigen Ergebnisse der seismischen Auswertungen zeigen, dass der Erdbebenschwarm im Übergangsbereich zwischen Grundgebirge und Sedimenten in ca. 4 bis 5 km Tiefe liegt.
In der Karte sind die verschiedenen Bruchsysteme durch die dunkelroten bis orangen Linien gekennzeichnet. In den helvetischen Decken sind Bruchsysteme unterschiedlicher Orientierungen im Bereich des Sanetschpasses geologisch kartiert. Allerdings ist der Zusammenhang der Brüche an der Oberfläche mit den heutigen Erdbeben in der Tiefe unklar. Erste Ergebnisse in Bezug auf die Bruchorientierungen im aktuellen Schwarm zeigen teilweise Übereinstimmungen mit den Bruchsystemen an der Oberfläche (es scheinen vor allem die WNW/W und WSW streichende Brüche aktiv zu sein, siehe Kartenlegende). Der Zusammenhang zwischen geologisch kartierten Brüchen und heutigen Erdbeben ist ebenfalls Gegenstand aktueller Forschungsarbeiten beim SED. Dass die Bruchsysteme so deutlich zu erkennen sind, ist dem dichten seismischen Netzwerk in der Region zu verdanken sowie neusten Analysemethoden.