Die erste Magnitudenskala wurde 1935 vom Physiker und Seismologen Charles Richter entwickelt. Auch heute noch wird in der Schweiz die Grösse eines Erdbebens gewöhnlich in Einheiten auf der Richterskala angegeben (Lokalbebenmagnitude). Im Verlauf der Zeit wurde allerdings festgestellt, dass sich die Richterskala nur für Erdbeben in einem bestimmten Magnituden- und Distanzbereich eignet. Bei sehr grossen oder weit entfernten Beben kann sie die freigesetzte Energie nicht korrekt wiederspiegeln. Aus diesem Grund wurden weitere Magnitudenskalen entwickelt.

 

Lokalbebenmagnitude ML (Richterskala)

Einsatzbereich

Die Lokalbebenmagnitude ML (der Schweizerische Erdbebendienst verwendet dafür oft die Abkürzung MLh) wird für Erdbeben bestimmt, die relativ nahe an den registrierenden Stationen auftreten, das heisst mit einigen hundert Kilometern Entfernung.

Bestimmende Parameter

Die Lokalbebenmagnitude hängt von der maximalen Amplitude eines Erdbebens ab, welche mit einem Wood-Anderson-Seismometer aufgezeichnet wurde (siehe Frage „Was bedeutet Amplitude?“). Weil solche Seismometer heute fast nicht mehr betrieben werden, werden die mit modernen Geräten aufgezeichneten Erschütterungen in künstliche Wood-Anderson-Seismogramme umgewandelt.

Vorteile

Die Lokalbebenmagnitude lässt sich sehr einfach und schnell berechnen. Ausserdem sind Wood-Anderson-Seismometer in einem ähnlichen Frequenzbereich empfindlich wie viele insbesondere kleinere Gebäude (siehe Frage „Was bedeutet Frequenz?“). Die abgeschätzte Lokalbebenmagnitude ist daher ein gutes Mass für die Voraussage potentieller Gebäudeschäden.

Nachteile Bei Beben mit einer Magnitude grösser als etwa 6 sättigt die Lokalbebenmagnitude. Das heisst, selbst wenn das Erdbeben grösser war, nimmt ML nicht mehr signifikant zu. Zudem verliert ML an Aussagekraft, wenn Beben eine Magnitude kleiner als etwa 2 aufweisen, sowie wenn sie weiter als etwa 600 km von der Messstation entfernt auftreten.

 

Lokalbebenmagnitude MLhc

Einsatzbereich Im Jahr 2020 überarbeitete der SED die bisher verwendete Lokalbebenmagnitude und wechselte von „MLh“ zu „MLhc“. Das „c“ steht dabei für „corrected“, d. h. „korrigiert“. Seit der letzten Änderung der Lokalbebenmagnitude, hat sich das seismische Netzwerk in der Schweiz sehr stark verdichtet. Durch die für die Schweiz kalibrierte und überarbeitete Lokalbebenmagnitude „MLhc“ kann diese Veränderung nun berücksichtigt werden. Bei kleineren Erdbeben ermöglicht MLhc, die Magnitude genau abzuschätzen, weil MLhc für seismische Stationen korrekt kalibriert ist, die sich in der Nähe des Erdbeben befinden (innerhalb von 15 bis 20 km). Darüber hinaus kann der SED nun alle seismischen Stationen in der Schweiz zur Bestimmung der Lokalbebenmagnitude verwenden, einschliesslich derjenigen in städtischen Gebieten, weil MLhc Standortverstärkungsfaktoren einschliesst.

Bestimmende Parameter Die Lokalbebenmagnitude eines Erdbebens wird bestimmt, indem man den Mittelwert der Lokalbebenmagnituden berechnet, die an jeder seismischen Station ermittelt werden. Die Lokalbebenmagnitude an jeder Station hängt von der maximalen Amplitude ab, die von einem Wood-Anderson-Seismometer aufgezeichnet wird (siehe die Frage „Was bedeutet Amplitude?“), der Entfernung dieser Station vom Erdbeben und einem ortsspezifischen Verstärkungsfaktor. Das ursprüngliche Wood-Anderson-Seismometer wurde vor Jahrzehnten durch moderne Breitband-Seismometer ersetzt, die viel grössere Amplituden- und Frequenzbereiche haben. Um mit der ursprünglichen Magnitudenskala konsistent zu sein, werden die von modernen Geräten gemessenen Erschütterungen zunächst in künstliche Wood-Anderson-Seismogramme umgewandelt.

Vorteile Die Berechnung der MLhc basiert auf einem grösseren Datensatz im Vergleich zur bisher verwendeten Berechnung der Lokalbebenmagnitude, denn alle bis zum Jahr 2000 aufgezeichneten Erdbeben werden jetzt verwendet. Zudem können nun Aufzeichnungen von fast allen Stationen berücksichtigt werden, auch von solchen, die weniger als 15-20 Kilometer vom Erdbebenherd im Untergrund (Hypozentrum) entfernt sind. Das Verfahren zur Berechnung von MLhc berücksichtigt physikalisch basierte Standortkorrekturen, die routinemässig vom SED berechnet und aktualisiert werden.

Nachteile Wie jede Lokalbebenmagnitude sättigt auch MLhc bei Erdbeben mit mittlerer bis grosser Magnitude. Dies wird vor allem bei Beben deutlich, die eine Magnitude grösser als 6 aufweisen.

 

Raumwellenmagnitude mb

Einsatzbereich Die Raumwellenmagnitude mb wird normalerweise für Erdbeben bestimmt, die sich über 2000 km entfernt von der registrierenden Station ereignet haben.

Vorteile und bestimmende Parameter Die mb-Bestimmung für Fernbeben ist relativ einfach, weil mb direkt anhand der gemessenen Amplituden der P-Wellen bestimmt wird. P-Wellen sind Kompressionswellen, die durch das Erdinnere laufen und als erstes Signal eine seismische Station erreichen (siehe Frage „Was sind P-, S-, Love- und Rayleigh-Wellen?“).

Nachteile Die Raumwellenmagnitude mb sättigt ab einer Magnitude von etwa 6. Das bedeutet, dass aufgrund von mb beispielsweise nicht zwischen einem Beben der Magnitude 6 oder 7.5 unterschieden werden kann.

 

Oberflächenwellenmagnitude MS

Einsatzbereich Die Oberflächenwellenmagnitude MS eignet sich für die Abschätzung der Energie von weit entfernten und starken Erdbeben.

Bestimmende Parameter und Nachteile Die Oberflächenwellenmagnitude MS wird durch Oberflächenwellen (S-Wellen) bestimmt. Diese laufen entlang der Erdoberfläche mit einer viel langsameren Geschwindigkeit als die P-Wellen im Erdinneren (siehe Frage „Was sind P-, S-, Love- und Rayleigh-Wellen?“). Die langsame Ausbreitungsgeschwindigkeit der Oberflächenwellen ist der Grund, weshalb Seismologen unmittelbar nach einem Erdbeben in grosser Entfernung nicht wissen, ob es sich um ein starkes oder sehr starkes Erdbeben handelt. Zudem kann es bei sehr tiefen Beben vorkommen, dass keine oder nur sehr geringe Oberflächenwellen erzeugt werden.

Vorteile Bei MS tritt eine Sättigung nur für sehr grosse Erdbeben mit einer Magnitude ab etwa 8 auf. Erdbeben, die sich nahe an der Erdoberfläche ereignen (ungefähr in den obersten 30 Kilometern), erzeugen grössere Oberflächenwellen verglichen mit tieferen Erdbeben der gleichen Stärke. Ein im Vergleich zu mb grosser Wert von MS deutet somit darauf hin, dass das Beben nahe der Oberfläche stattgefunden hat. Daher ist mit grösseren Schäden zu rechnen, falls das Epizentrum nahe eines dicht besiedelten Gebietes liegt. Das Verhältnis zwischen dem MS- und dem mb-Wert wird auch verwendet, um Erdbeben von (nuklearen) Explosionen zu unterscheiden. Explosionen haben ein kleineres Quellvolumen als Erdbeben der gleichen Grösse. Zudem sind Explosionen mit weniger Scherbewegung verbunden, welche vor allem für die Erzeugung von Oberflächenwellen verantwortlich sind. Die MS-Werte von Explosionen sind deshalb typischerweise viel kleiner als jene für Erdbeben gleicher Stärke. Für seismische Ereignisse (Erdbeben oder Explosion) nahe an der Erdoberfläche ist deshalb das mb-MS-Verhältnis ein gutes Unterscheidungskriterium (grosse Verhältnisse deuten auf eine Explosion hin).

 

Momentmagnitude Mw

Einsatzbereich Die Momentenmagnitude (Mw) ist die aussagekräftigste Magnitude, weil sie als einziger Magnitudentyp auch bei grösseren Beben keine Sättigung erlangt. Die klassische Bestimmung von Mw erfolgte aus langperiodischen (tieffrequenten) Anteilen der Seismogramme an Stationen, die sich nicht allzu nahe am Epizentrum befanden, womit die Bestimmung erst für Beben ab etwa Magnitude 4 verlässlich möglich war. Mittlerweile kann Mw auch für kleinere Beben und sogar für Mikrobeben mit Magnituden im Minusbereich bestimmt werden, wenn die Anzahl und Qualität der Messstationen gut genug ist (siehe Frage „Was bedeuten Magnituden im Minusbereich?“).

Bestimmende Parameter Die Momentenmagnitude Mw (‘w’ steht hier für work – engl. Arbeit) ist der einzige Magnitudentyp, der eine direkte physikalische Bedeutung hat. Basierend auf theoretischen Überlegungen wurde Mw vom seismischen Moment M0 abgeleitet. M0 ist das Produkt von Grösse der (Versatz-)Fläche eines Bruchs x durchschnittlichem Versatz des Bruchs x Scherfestigkeit des Gesteins. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um Mw zu bestimmen. Häufig werden durch Modellierungen künstliche Seismogramme an die Beobachtungen angepasst. Dabei werden die Grösse des Bruches, der durchschnittliche Versatz und die Orientierung der Bruchfläche so lange variiert, bis die künstlichen Seismogramme genügend gut mit den beobachteten Seismogrammen übereinstimmen. Oftmals wird dazu das Amplitudenspektrum des Erdbebensignals herangezogen, dessen langperiodischer Plateauwert ein Mass für das seismische Moment M0 ist.
Um den Einfluss des lokalen Stationsuntergrunds, der Geometrie des Erdbebenherdes und von Störsignalen auszugleichen, ist eine Bestimmung von M0 an genügend vielen Stationen notwendig, woraus dann ein Mittelwert bestimmt wird. Speziell für die Bestimmung von Mw für Mikrobeben müssen die Messstationen die Signale auch mit genügend hoher Abtastung aufzeichnen, damit der Plateauwert des Spektrums ermittelt werden kann.

Vorteile Mw widerspiegelt direkt die bei einem Beben freigesetzte Energie und sättigt auch bei den grössten Erdbeben nicht. Ausserdem ist Mw global vergleichbar.

Nachteile Der Aufwand zur Abschätzung von Mw ist grösser als die Berechnung der anderen Magnitudentypen. Bei grösseren Beben kann es einige Stunden dauern, bis eine erste Abschätzung verfügbar ist.

 

M

Wenn Sie in unseren Listen eine Magnitude finden, die nur mit "M" bezeichnet ist, dann bedeutet dies, dass das seismische Observatorium, welches die Magnitude bestimmt hat, nicht angegeben hat, um welchen Magnitudentyp es sich handelt. Oft sind dies Magnituden vom U.S. Geological Survey, dem Erdbebendienst in den USA. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass es sich im Allgemeinen um eine Magnitude handelt, die für das betreffende Beben nicht gesättigt ist; für starke Beben handelt es sich oft um Mw-Magnituden.