Die Sektion Erdbebenprozesse widmet sich dem Verständnis, der Beschreibung und der Modellierung von Erdbebenprozessen und Wellenausbreitung in verschiedenen Zusammenhängen. Die gewonnenen Erkenntnisse werden in gesellschaftlich relevante Anwendungen und Dienstleistungen zur Risikominderung oder seismischen Bildgebung umgesetzt. Diese Sektion deckt unterschiedliche Zeitskalen und Themen ab, von kleinen Laborexperimenten bis hin zu grossräumigen natürlichen Erdbeben, wobei induzierte wie auch natürliche Seismizität und aseismische Deformationsprozesse berücksichtigt werden. Sie untersucht grundlegende Themen in Verbindung mit der Statistik und Physik von Erdbebenquellen und Wellenausbreitung in der Erdkruste. Hierfür nutzt sie statistische Verfahren, numerische Simulationen und direkte Beobachtungen.

Bild für Erdbebenprozesse

Die angewandte Forschung konzentriert sich auf die Verbesserung hochauflösender seismischer Bildgebungs- und Überwachungsmethoden. Auf regionaler Ebene untersucht die Sektion Vulkane, Subduktionszonen, Gletscher und die Auswirkungen des Klimawandels auf den Grundwasserspiegel. Auf lokaler Ebene werden die Methoden an unterirdische Geoengineering-Projekte angepasst, wie beispielsweise die geothermische Tiefenenergie, CO2-Speicherung und die Entsorgung von radioaktiven Abfälle. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Forschung zur Erdbebenvorhersage und -vorhersagbarkeit, mit dem Ziel, operative Fähigkeiten zur Erdbebenvorhersage zu entwickeln und zu testen. 

Die Sektion arbeitet mit Schweizer Untertagelabors wie dem BedrettoLab, dem Felslabor Mont Terri oder dem Untertagelabor Grimsel Test Site zusammen. Neben der Forschung spielt die Sektion eine wichtige Rolle in der Lehre, wobei mehrere Mitglieder an grundlegenden Kursen an der ETH Zürich und anderen Institutionen beteiligt sind.

Die Sektion Erdbebenprozesse wird von Dr. Anne Obermann und Dr. Antonio P. Rinaldi gemeinsam geleitet. Sie ist in fünf Forschungsgruppen unterteilt.

Unter der Leitung von Dr. Leila Mizrahi entwickelt und nutzt die Gruppe für statistische Seismologie fortschrittliche, zeitabhängige Erdbebenvorhersagemodelle sowie statistisch fundierte Methoden zur Analyse von Erdbebenmustern. Obwohl Erdbeben unvorhersehbar bleiben, verlässt sich die Gesellschaft auf statistische Verfahren, um die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Erdbeben abzuschätzen. Die Kernaufgabe der Gruppe besteht darin, harmonisierte Erdbebenvorhersagemodelle für die Schweiz und Europa zu erstellen und zu testen; hierfür nutzt sie Epidemic-Type Aftershock Sequence (ETAS) Modelle. Ihre Arbeit fördert auch das Verständnis von Erdbebenprozessen, indem sie Methoden zur Datenanalyse und Open-Source-Tools entwickelt. Zudem setzt sich die Gruppe aktiv mit dem wissenschaftlichen Status quo auseinander, indem sie maschinelles Lernen erforscht und Hochleistungsrechner einsetzt. So leistet sie ihren Beitrag, um Fortschritte in der Vorhersagbarkeit von Erdbeben zu erzielen.

Unter der Leitung von Dr. Federica Lanza und Dr. Ryan Schultz befasst sich die Gruppe mit seismischen Sequenzen, die durch menschliche Aktivitäten ausgelöst werden. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf der Verbesserung kosteneffizienter Überwachungsmethoden, dem physikalischen Verständnis der Verwerfungsreaktivierung, der Bewertung geologisch anfälliger Bedingungen, der Modellierung und Vorhersage von Erdbeben sowie der Identifizierung induzierter Fälle. Ihre Forschung konzentriert sich auch auf Ansätze zur Quantifizierung von Gefahren und Risiken, die zur Entwicklung von (adaptiven) Ampelprotokollen und Risikominderungsstrategien für den Umgang mit induzierter Seismizität beitragen. Ausserdem untersucht die Gruppe die menschliche Wahrnehmung von Erdbebenrisiken und trägt mit ihren Ergebnissen dazu bei, praktische Rahmenbedingungen und Leitlinien für eine sicherere und verantwortungsvolle Ressourcenentwicklung zu schaffen.

Dr. Anne Obermann leitet diese Gruppe, die seismische Interferometrie nutzt, um unter Einsatz passiver seismischer Datenaufzeichnungen komplexe Untergrundstrukturen hochauflösend abzubilden und zu überwachen. Seismische Interferometrie beruht auf dem Prinzip der Rekonstruktion seismischer Reaktionen. Diese verknüpft man durch Kreuzkorrelation seismischer Wellenfeldaufzeichnungen, die an verschiedenen Empfängerstandorten gewonnen werden, mit virtuellen Quellen. Durch die Anwendung und Integration technischer Fortschritte (z. B. verteilte akustische Sensorik, dichte seismische Arrays) kann die Gruppe subtile Veränderungen in der Erdstruktur aufspüren, die zuvor nicht nachweisbar waren. Die Forschung der Gruppe wird in verschiedenen Umgebungen angewendet, darunter Magmakammern, Verwerfungszonen, Grundwasser- und geothermische Reservoire sowie CO2-Speicherstätten.

Die von Dr. Paul Selvadurai geleitete Gruppe ist Partner des D-EAPS Rock Physics und Mechanics Laboratory (RPMLab). Sie spielt eine führende Rolle in der Laborforschung zur Erdbebenmechanik und der Gesteinsphysik. Die Gruppe entwickelt fortschrittliche Instrumente zur Beobachtung und Visualisierung von Bruchprozessen sowie zur Auslösung, Ausbreitung und Beendigung von Erdbeben. Diese Instrumente tragen zur Klärung von Mustern bei und ermöglichen systematische Tests, um die wichtigsten Merkmale des Bruchprozesses zu isolieren, die berücksichtigt werden müssen.

Das Verständnis der grundlegenden Prozesse, die sich auf die Entstehung, Ausbreitung und Beendigung von Erdbeben auswirken, ist unerlässlich für die Entwicklung genauerer physikbasierter Modelle. Diese Modelle können die Vorhersagen sowie die Gefährdung und Risiken minimieren. Die Arbeit der Gruppe ist eng mit der Forschung zu Erdbebenmechanik in Bereichen wie Geothermie und Kohlenstoffsequestrierung verbunden und trägt so zu einem umfassenderen Verständnis der Entstehung und Ausbreitung von Erdbeben bei.

Unter der Leitung von Dr. Antonio P. Rinaldi entwickelt die Gruppe numerische Modelle, die thermo-hydro-mechanisch-chemische Prozesse miteinander verknüpfen. Die Expertise der Gruppe ist von entscheidender Bedeutung für das Verständnis natürlicher Prozesse im Zusammenhang mit Erdbeben sowie für die Entwicklung von Vorhersagemodellen für induzierte Seismizität. Ihre Arbeit unterstützt Experimente in Untertagelabors wie dem BedrettoLab und dem Felslabor Mont Terri  sowie die Entwicklung von Vorhersagemodellen für induzierte Seismizität. Darüber hinaus festigt die Sektion das Wissen über die Endlagerung von nuklearen Abfällen, Geothermieprojekten, CO2-Speicherung sowie die Entwicklung physikbasierter Verfahren in Verbindung mit maschinellem Lernen.