21.06.2023

Erdbebenfrühwarn-App in Costa Rica veröffentlicht

Erdbeben stellen in Zentralamerika die tödlichste Naturgefahr dar, sowohl wegen ihrer direkten Auswirkungen wie auch als Ursache für potenziell verheerende Tsunamis. Seit 2016 arbeiten Forschende des Schweizerischen Erdbebendienstes (SED) an der ETH Zürich mit Partnern in Zentralamerika zusammen, um im Rahmen des von der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) finanzierten Projekts «Alerta Temprana de Terremotos en America Central» (ATTAC) Erdbebenfrühwarnsysteme in der gesamten Region aufzubauen. Letzte Woche hat das Projekt einen wichtigen Meilenstein erreicht: Das Vulkanologische und Seismologische Observatorium (OVSICORI) an der Nationalen Universität in Costa Rica gab den Start einer App für Smartphones bekannt, die Erdbebenfrühwarnungen für ganz Costa Rica herausgeben kann.

Erdbebenfrühwarnung

Potenziell schadenbringende seismische Wellen breiten sich mit einer Geschwindigkeit von zwei bis drei Kilometern pro Sekunde aus – das ist sehr schnell, aber deutlich langsamer als Informationen, die sich mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen. Moderne seismische Netzwerke können ein Erdbeben innerhalb weniger Sekunden erkennen und eine Warnung ausgeben, welche die Erdbebenwellen überholt. Die Erdbebenfrühwarnung kann so Gebiete mit einer gewissen Entfernung vom Epizentrum vor den Erschütterungen warnen, bevor diese dort wenige Sekunden später auftreten. Wer die Warnung erhält, kann sofort Massnahmen ergreifen, um sich selbst zu schützen, oder automatische Prozesse zum Schutz von Maschinen einleiten. Der erfolgreiche Betrieb eines Erdbebenfrühwarnsystems erfordert ein dichtes Netz seismischer Stationen mit hoher Qualität und geringer Verzögerungszeit sowie eine spezielle Software, welche die Informationen in Echtzeit verarbeitet und eine Warnung ausgeben kann. Derzeit werden in Costa Rica zwei Open-Source-Algorithmen zur Datenverarbeitung eingesetzt: «Virtual Seismologist» und «FinDer». Beide hat der SED in den letzten zehn Jahren entwickelt und optimiert. Auch andere nationale Erdbebenüberwachungsbehörden in Zentralamerika setzen diese Algorithmen ein: INETER in Nicaragua, MARN in El Salvador und INSIVUMEH in Guatemala.

Essenziell für den Erfolg eines Erdbebenfrühwarnsystems ist die unverzügliche Übermittlung der Warnungen an die Nutzerinnen und Nutzer. Im Rahmen des ATTAC-Projekts wurde daher eine Smartphone-App entwickelt. Sie ist derzeit nur für Android-Handys verfügbar, die in Zentralamerika am weitesten verbreiteten Smartphones. Nebst Warnungen gibt die App zudem Verhaltensempfehlungen. In Costa Rica lauten sie: «Ducken, in Deckung gehen und festhalten». Ausserdem können die Nutzerinnen und Nutzer via App melden, wie stark sie die Bodenerschütterungen verspürt haben.

Weitere Entwicklungen

Auch nach der Veröffentlichung der App wird sie künftig weiterentwickelt, um ihre Leistung aufgrund der steigenden Nutzerzahl auf nationaler Ebene kontinuierlich zu optimieren. Zu weiteren geplanten Verbesserungen bis zum Ende des Projekts Mitte 2024 gehört die Unterstützung anderer Betriebssysteme und die Übersetzung in indigene Sprachen. Auch andere Partner des Projektes werden wahrscheinlich bis zum Ende des Projekts ihre eigenen öffentlichen Frühwarnsysteme ankündigen.

In der Schweiz wird die Erdbebenfrühwarnung ebenfalls als Mittel zur Verringerung des Erdbebenrisikos betrachtet. Der SED testet derzeit intern ein Prototyp-System. Allerdings ereignen sich starke Erdbeben in der Schweiz viel seltener als in Zentralamerika. Bei einem typischen Erdbeben der Stärke 6 würden in der Schweiz ausserdem die meisten Schäden in einem Umkreis von 10 bis 15 Kilometern um das Epizentrum auftreten, also innerhalb der sogenannten Blindzone. Dies schränkt die Nützlichkeit des Frühwarnsystems im Vergleich zu Zentralamerika ein. Dennoch werden durch die im Projekt «ATTAC» gewonnenen Erfahrungen einen wertvollen Beitrag zur Entwicklung eines Erdbebenfrühwarnsystems für die Schweiz leisten.