25.01.2021

75 Jahre seit dem letzten grossen Schweizer Beben

Es war bereits dunkel, als am 25. Januar 1946 ein heftiges Erdbeben mit einer Magnitude von 5.8 das Wallis erschütterte. Vier Menschen kamen ums Leben, zahlreiche wurden verletzt und 3'500 Gebäude teils schwer beschädigt. Bis das ganze Ausmass deutlich wurde, dauerte es eine Weile. Das hatte nicht nur mit der Zeit des Bebens zu tun, sondern auch mit dem Umfang der Schäden und den damaligen Auswertungsmöglichkeiten der seismischen Daten. Das Beben verursachte nicht nur Gebäudeschäden, die vielfach erst im Tageslicht deutlich hervortraten, es löste auch Lawinen und Felsstürze aus. Zudem mussten die Daten der wenigen Seismographen in der Schweiz erst von Hand abgelesen und ausgewertet werden. Ähnlich aufwendig war das Sammeln von Verspürt- und Schadensmeldungen, denen aufgrund der wenigen instrumentellen Aufzeichnungen ein wichtigerer Stellenwert zukam. Es handelt sich um das grösste Schweizer Beben der vergangen 150 Jahre und um das bisher letzte, das Todesopfer forderte. Könnte sich erneut ein solches Beben ereignen und was wären die Folgen heute?

In der Schweiz ist alle 50 bis 150 Jahre mit einem vergleichbaren Beben zu rechnen. Erdbeben halten sich aber an keinen genauen Fahrplan. Das nächste grosse Beben kann sich daher genauso gut in nächster Zeit oder erst in einigen Jahrzehnten ereignen. Das Wallis gehört neben der Region Basel, dem Bündnerland, der Zentralschweiz und dem St. Galler Rheintal zu den Gebieten mit der höchsten Erdbebengefährdung hierzulande. Obwohl grosse Beben grundsätzlich in der ganzen Schweiz auftreten können, sind es diese Regionen, in denen sich mehr und daher auch häufiger starke Beben ereignen. Würde es heute ein ähnliches Beben wie vor 75 Jahren im Rhonetal geben, wäre aufgrund der dichteren Besiedlung mit wesentlich schwereren Folgen und Schäden in einer Grössenordnung von 26 Millionen CHF zu rechnen.

Regelmässig erinnern spürbare Beben die Walliser Bevölkerung, dass der Boden unter ihren Füssen seismisch aktiv ist. Neben einzelnen Beben treten im Wallis, wie auch anderorts in der Schweiz, häufig Erdbebensequenzen auf. Eine besonders aktive Sequenz, mit mehr als 16 verspürten Beben innerhalb von zehn Tagen, wurde im Jahr 2019 nahe des Sanetschpasses beobachtet. Die 56 seismischen Stationen im Wallis zeichnen ausserdem zahlreiche kleinere Beben auf. Die dichte Überwachung ermöglicht es, die seismische Aktivität rund um die Uhr zu beobachten und im Falle von grösseren Beben die Bevölkerung, Behörden und Medien umgehend zu informieren. Die Analyse der seismischen Daten hilft zudem dabei, den lokalen Untergrund besser zu verstehen. Sie liefert damit eine wichtige Grundlage für die Erdbebenprävention. Neben dem Wissen über das empfohlene Verhalten ist vor allem eine erdbebengerechte Bauweise zentral, um die Folgen eines Bebens zu mindern. Dies sind beides Aspekte, in welche der Kanton Wallis in den vergangenen Jahren viel investiert hat.

Die Erdbebenaktivität im Wallis hängt wie in der gesamten Schweiz mit dem Aufeinanderprallen der europäischen und der afrikanischen Lithosphärenplatten zusammen. Die Folge sind zahlreiche Bruchsysteme im Untergrund, auf denen sich Spannungen aufbauen und plötzlich in Form von Erdbeben wieder lösen. Aus geologischer Sicht stellt die Rhone-Simplon-Verwerfung eine der wichtigsten Störzonen in der Region dar. Sie verläuft im Bereich von Sion entlang des Nordrandes des Rhonetals. Die Seismizität im Bereich der helvetischen Decken nördlich des Rhonetals steht daher wahrscheinlich in Zusammenhang mit den Deformationsprozessen entlang der Rhone-Simplon-Verwerfung, aber eventuell auch mit den tiefer liegenden Hebungsprozessen im Bereich des Aar-Massivs und des Aiguilles-Rouges/Mont-Blanc-Massivs. Ein verbessertes Verständnis dieser tektonischen Prozesse und ihrer Auswirkungen auf die heutige Seismizität sind Gegenstand aktueller Forschungsarbeiten beim Schweizerischen Erdbebendienst (SED) an der ETH Zürich. Darüber hinaus entwickelt der SED derzeit gemeinsam mit dem Bundesamt für Umwelt, dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und der EPFL ein Erdbebenrisikomodell für die Schweiz. Dies wird künftig dabei helfen, die möglichen Folgen eines Erdbebens besser abschätzen zu können und die Verhältnismässigkeit von Massnahmen zu überprüfen.

Weitere Informationen zu den Aktivitäten zur Erinnerung und Vorbereitung auf das nächste Erdbeben im Wallis finden Sie hier:

https://wp.unil.ch/seisme1946/?lang=de

Erdbeben 1946 – didaktischer und pädagogischer Rundgang im Herzen der Stadt Sitten