Der Ort eines Erdbebens – die geografische Länge, Breite und Tiefe des Erdbebenherds – sowie die genaue Zeit seines Auftretens können aus den an den Erdbebenmessstationen aufgezeichneten Daten durch sogenannte Inversionsverfahren modelliert werden. Die Bestimmung von Ort und Zeit ist hierbei eng verknüpft mit den Ausbreitungsgeschwindigkeiten der seismischen Wellen, man spricht auch von einem gekoppelten Problem. Wie genau Ort und Zeit eines Bebens bestimmt werden können, hängt deshalb stark davon ab, wie gut die Ausbreitungsgeschwindigkeit der seismischen Wellen im Untergrund bekannt ist. Zudem ist aber auch die geometrische Verteilung der Messstationen entscheidend für die Qualität der Bestimmung.
Für Beben in der Schweiz, wo wir ein dichtes Netz an hochwertigen Messstationen zur Verfügung haben, ist die Tiefe des Erdbebens derjenige Parameter, der in der Regel am wenigsten gut bestimmt werden kann. Speziell gilt das für relativ flache Beben in den obersten 5 Kilometern unter der Erdoberfläche, da hier die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Erdbebenwellen stark variieren kann und die Verteilung der Stationen um das Beben für eine genaue Tiefenbestimmung oft ungünstig ist.
Die Tiefe eines Erdbebens wird immer relativ zur geografischen Nullhöhe des verwendeten Koordinatensystems angegeben, mit positiven Werten nach unten. Wir verwenden hier den internationalen Standard WGS84 oder die Schweizer Landeskoordinaten LV95. Die geografische Nullhöhe in der Schweiz ist der Meeresspiegel des Mittelmeers bei Marseille (korrigiert über die Meeresanschlüsse von Rhein, Inn/Donau, Tessin/Po und Rhone). Mehr dazu erfahren Sie hier: https://www.swisstopo.admin.ch/de/haeufige-fragen-geodaesie-lv
Nachdem die Erdoberfläche in der Schweiz zwischen 193 (Seespiegel Lago Maggiore) und 4'634 Meter über dem Meeresspiegel liegt, können Erdbeben ebenfalls über dem Meeresspiegel liegen und hätten damit negative Tiefenwerte. Meistens bedeuten negative Tiefen aber, dass das Beben relativ nah unter der Erdoberfläche stattfand, in der Regel innerhalb der oberen 2 bis 3 Kilometer. Zudem deuten negative Tiefen oft auf eine relativ grosse Ungenauigkeit (im Bereich von ca. 1 bis 3 Kilometer) des berechneten Wertes hin. Ein Beben mit einer Tiefenangabe von «-1.4km», wie z. B. das Beben bei Montreux oberhalb Aigle am 9. Juli 2021, hat sich also wahrscheinlich irgendwo zwischen 1 und 3 Kilometer unter der dortigen Erdoberfläche ereignet.