Induzierte Seismizität

Vom Menschen herbeigeführte Erdbeben werden als induzierte Seismizität bezeichnet. In der Regel handelt es sich hierbei um sehr kleine Bruchprozesse (Mikroerdbeben), die bei geotechnischen Tätigkeiten aller Art auftreten und nur von hochempfindlichen Instrumenten gemessen werden können. Gelegentlich sind induzierte Erdbeben jedoch so stark, dass man sie spürt oder sie im Gebiet des Epizentrums sogar Schäden verursachen. Daher muss induzierte Seismizität als nicht zu vernachlässigendes Risiko bei umfangreichen geotechnischen Tätigkeiten betrachtet werden, insbesondere in dicht besiedelten Ländern wie der Schweiz. Die Prozesse und Bedingungen, die der induzierten Seismizität zugrunde liegen, sind noch nicht ausreichend erforscht, um nützliche Vorhersagen über die wahrscheinliche seismische Reaktion des Untergrundes auf die geotechnischen Tätigkeiten machen zu können. Die SED-Forschungsgruppe für induzierte Seismizität (INDU@SED) arbeitet intensiv daran, diese Wissenslücke zu schliessen, indem sie das Problem aus verschiedenen Blickwinkeln angeht.

Induzierte Seismizität

Beobachtungs- und Experimentalstudien

Die vorhandenen Fallbeschreibungen von injektionsinduzierter Seismizität gehen auf die 1970er Jahre zurück, sind aber häufig nicht gut dokumentiert oder stehen der Forschung nicht offen. Dementsprechend besteht ein Teil unserer Arbeit darin, Datensätze in hoher Auflösung und Qualität zu sammeln, sie wissenschaftlich zu dokumentieren, um sie dann Forschung und Lehre zur Verfügung zu stellen. Zu diesem Zweck betreiben wir einen Instrumentenpool und entwickeln neue Methoden, um die Messung und Analyse von Mikroerdbeben und kleinen Veränderungen im Untergrund zu verbessern.

INDU@SED führt nicht nur reine Beobachtungsstudien durch, sondern beteiligt sich auch intensiv an Experimentalstudien über injektionsinduzierte Seismizität, deren Bandbreite vom Labormassstab (cm) bis zum Feldmassstab (km) reicht. Im kleinen Massstab können die experimentellen Bedingungen weitgehend kontrolliert und die Experimente vielfach wiederholt werden. Die Ergebnisse dieser Experimente helfen uns, Injektionsverfahren für den Feldmassstab zu entwickeln, die das Stimulationsergebnis optimieren und das Risiko induzierter Erdbeben minimieren.

Numerische Modellierung induzierter Seismizität

Der Schlüssel zum Verständnis der Prozesse, die induzierter Seismizität zugrunde liegen, besteht darin, konzeptionelle Modelle im Vergleich zu Beobachtungen zu erproben, und zu diesem Zweck nutzt INDU@SED die numerische Modellierung. Wir entwickeln Software, die den Fluidfluss in porösen und gerissenen Medien mit thermo-hydro-mechanischen Modellen sowie statistischen und physikalischen Erdbebenarten in Verbindung bringt. Die hydromechanischen und seismologischen Vorhersagen unseres Modells können so mit den beobachteten Daten verglichen und die Modellparameter für verschiedene Versuchsbedingungen kalibriert werden. Diesen Ansatz wandte man im Nachhinein erfolgreich auf modellierte injektionsinduzierte Erdbebensequenzen an (z. B. Basel, Soultz-sur-Forêts) und wird ihn nutzen, um mögliche künftige Szenarien für die Tiefengeoenergie-Anwendung in der Schweiz zu untersuchen.

Echtzeitbewertung induzierter Erdbebenrisiken

Ein Hauptziel unserer Arbeit besteht in der Entwicklung eines „Advanced Traffic Light System“ (ATLS = Ampelsystem) für Experimente mit Fluidinjektion. Auf Grundlage der beobachteten seismologischen und hydraulischen Daten und des geplanten Injektionsschemas soll dieses System in der Lage sein, die Wahrscheinlichkeit vorherzusagen, dass in den nächsten X Stunden ein Erdbebenschaden der Grösse M überschritten wird (seismisches Risiko). Hierfür müssen wir unser numerisches Modell in Echtzeit durchspielen und fortlaufend anhand der beobachteten seismologischen und hydraulischen Daten kalibrieren. Basierend auf dem vorhergesagten seismischen Risiko können Unternehmen mehrere Stunden, bevor nicht hinnehmbare Risikoniveaus erreicht werden, zuvor festgelegte Massnahmen ergreifen.

Im Gegensatz zu herkömmlichen Ampel-Systemen, die auf festen vorbestimmten Schwellenwerten für die Erdbebenmagnitude oder die Bodenbewegung beruhen, passt sich das ATLS automatisch an die dynamischen Änderungen bei der seismischen Reaktion des Untergrundes an. Wir hoffen, dass es auf diese Weise nicht nur möglich ist, Injektion früh genug zu stoppen, um nicht hinnehmbare Schäden zu vermeiden, sondern auch Strategien über die zu ergreifenden Massnahmen festzulegen,  nachdem eine bestimmte Alarmstufe ausgelöst wurde.

Wissenschaftliche Zusammenarbeit und Beratung

Wir pflegen enge wissenschaftliche Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Partnern an Hochschulen und in der Industrie. Um diesen Austausch zu fördern, veranstaltet INDU@SED in Davos zwei Mal pro Jahr einen internationalen Workshop über induzierte Seismizität.

Die Beratung schweizerischer Kantons- und Bundesbehörden in allen Belangen der induzierten Seismizität ist mittlerweile eine der Hauptaufgaben von INDU@SED. Als Teil dieser Arbeit, die vom schweizerischen Bundesamt für Energie (BFE) und EnergieSchweiz unterstützt wird, entwickeln wir „Best Practice“-Richtlinien und fördern interkantonale Standards zum Umgang mit induzierter Seismizität bei Geothermievorhaben. Lesen Sie mehr über das Projekt GEOBEST-CH.